Wer darf am Thermostat der Erde drehen?
Hanau. Teilweise heftige Reaktionen hat ein Unterrichtsexperiment an der Hohen Landesschule Hanau (HOLA) ausgelöst. Fünf Doktoranden der Universität Heidelberg stellten in zwei Doppelstunden Schülern und Lehrkräften des Hanauer Traditionsgymnasiums Methoden vor, das Weltklima zu beeinflussen, um so den Klimawandel aufzuhalten. Während in der Öffentlichkeit meist darüber diskutiert wird, wie der Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 verringert werden kann, präsentierten die Heidelberger Wissenschaftler nun Methoden, Treibhausgase der Atmosphäre künstlich zu entziehen oder die Sonneneinstrahlung auf unseren Planeten zu reduzieren.
Die Heidelberger Doktoranden sind Teil des Marsilius-Kollegs, einer interdisziplinären Forschungsgruppe zur Erforschung von alternativen Methoden zur Vermeidung des Klimawandels. Erforscht werden aber nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch die Akzeptanz und politische Durchsetzbarkeit solcher Technologien in der Öffentlichkeit. In Zusammenarbeit von natur- und sozialwissenschaftlicher Forschung sollen im Rahmen des Projekts „The Global Governance of Climate Engineering“ die Chancen und Risiken der bewussten Klimabeeinflussung durch technische Verfahren abgeschätzt werden.
Ein solches Verfahren sind „künstliche Bäume“: technische Großgeräte, die CO2 „einsaugen“ und speichern können. Ein weiteres Verfahren, das vor kurzem erprobt wurde, ist die Eisendüngung der Ozeane: durch das verstärkte Algenwachstum soll CO2 gebunden und schließlich in den Meeresböden abgelagert werden. Andere Technologien versuchen, die Sonneneinstrahlung auf die Erde gezielt zu verringern, um dadurch die globale Erwärmung zu reduzieren. Riesige Sonnenspiegel im All scheinen dabei noch pure Science Fiction zu sein. Realistischer, aber nicht weniger umstritten ist das Ansinnen, die Wolken „weißer zu machen“, indem man Salzwasserteilchen in den Wolken versprüht. Die „weißeren“ Wolken sollen die Reflexion der Sonnenstrahlung ins All vergrößern. Einen ähnlichen Effekt verspricht das Verfahren, Schwefeldioxid in der Stratosphäre zu verteilen. Doch solche Vorhaben stoßen in der Öffentlichkeit meistens auf heftigen Widerstand, wie auch die Reaktionen an der HOLA zeigten. „Diese Verfahren belegen, dass manche Wissenschaftler keine Ahnung von unserem Klima haben. Immerhin ist Schwefeldioxid der Auslöser des sauren Regens“, meint Dr. Günter Seidenschwann, Erdkunde- und Politik-Lehrer an der HOLA. Und Fachbereichsleiter Stefan Prochnow fühlt sich gar an seine eigene Schulzeit erinnert, „in der im Erdkundeunterricht über angebliche Pläne der damaligen Sowjetunion zur Senkrechtstellung der Erdachse fabuliert wurde“: „Die Gefahr des Climate Engineering liegt meiner Meinung nach in den unabsehbaren Nebenwirkungen“, ergänzte Prochnow.
Auf Vermittlung des HOLA-Lehrers Dr. Thomas Liesemann reisten Dorothee Amelung (Psychologie), Wolfgang Dietz (Politische Ökonomie), Hannes Fernow (Philosophie), Daniel Heyn (Umweltökonomie) und Stephanie Uther (Politikwissenschaft) nach Hanau, um das Climate Engineering und ihr Forschungsprojekt in dem Leistungsvorkurs Politik und Wirtschaft der Jahrgangsstufe 10 von Studiendirektor Stefan Prochnow und dem Erdkunde-Grundkurs der Jahrgangsstufe 12/13 von Studienrätin Meike Köhler vorzustellen. In beiden Kursen blieb die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler bei ihrer Ablehnung des Climate Engineerings. Manche Schüler sahen vor allem die Gefahr, dass dadurch von der Notwendigkeit der Emissionsreduktion abgelenkt wird. Durch regional gezielte Maßnahmen könnte es außerdem dazu kommen, dass nur die reichen Länder der Erde ihre Territorien vor dem Klimawandel schützen, während die ärmeren Staaten voll unter den Folgen zu leiden hätten. Erdkunde-Schülerin Sina Midding, Jahrgangsstufe 13, zog dennoch ein positives Fazit des Unterrichtsexperiments: „Ich hatte von diesen Technologien noch nie etwas gehört, obwohl das Thema Klimawandel ja ständig in den Medien präsent ist. Und ich finde schon, dass darüber diskutiert werden sollte“. (Dr. Thomas Liesemann und Stefan Prochnow, Hohe Landesschule Hanau)